1990: Abschieds- und Endzeitstimmung in Lugano
Es war ein schöner, warmer Septemberabend des Jahres 1990 in Lugano. Ich fuhr mit meiner Frau Yvette der traumhaft gelegenen Seepromenade entlang in den nur wenige Kilometer entfernten Touristenort Paradiso. Dort residierte die "Intrac Lugano", eine Schweizer Tochtergesellschaft der "Intrac GmbH, DDR- Berlin"
Trotz dieser äußerlich schönen Rahmenbedingungen war die Stimmung unter den Teilnehmern dieser Runde mehr als gedämpft. Sorgenvolle Gedanken um die Zukunft und eine unangenehme Vorahnung von dem, was den Genossen bevorstand, beherrschte die Gespräche. Die DDR war am Ende, die Vereinigung mit der Bundesrepublik war nur noch eine Frage von Wochen und auf die früheren Größen des ersten Arbeiter-und Bauern- Staates auf deutschem Boden wartete bereits der bundesdeutsche Staatsanwalt. Das Moskau unter Gorbatschow hatte andere Sorgen und auch Interessen, als um sich um die ehemaligen Verbündeten und auch persönlichen Freunde aus der DDR zu kümmern. Es war nicht zu übersehen: Die Endzeit des »Sozialismus» auf deutschem Boden stand bevor. Aber noch war Zeit, um sich und die eigene Familie nebst dem in der Regel meist bescheidenen angehäuften Vermögen in Sicherheit zu bringen. Aber diese Zeit könnte schon morgen abgelaufen sein.
Die Bundesrepublik hatte bereits offiziell verlauten lassen, dass sie sich inskünftig als alleinigen legitimen Vertreter Deutschlands, das heißt der Bundesrepublik und der DDR, betrachten würde. Und schon bald würde die Schweiz die Aufenthaltsgenehmigungen für Bürger mit DDR-Pass nicht mehr akzeptieren und auch nicht mehr verlängern. Ebenso würden die Arbeitsbewilligungen dieser Menschen in der Schweiz hinfällig werden. Und der Schweizer Botschaft in DDR-Berlin stand die Schließung bevor, daran konnten alle Freundschaftsreden der Eidgenossen in Bern und Lugano nichts ändern.
Für die Schweiz war das Kapitel einer unabhängigen, selbstständigen DDR damit beendet. Aber was war mit dem Kapital der DDR in der Schweiz? Es sollten 16 (!) Jahre vergehen, bis dem intensiver auf die Spur gekommen werden konnte.
2006: Veruntreutes und vermisstes Vermögen der ehemaligen DDR. Erste deutsch-schweizerische Verhandlungspositionen werden abgesteckt. Die Unabhängige Kommission Parteivermögen Berlin (UKPV) und die Schweizerische Bankiervereinigung Bern sind die Gesprächspartner einer ersten Runde. Die Schweizerische Nationalbank und die deutsche Botschaft in Bern sind dabei im Hintergrund aktiv.
Ein Handyanruf erreichte mich im winterlichen Davos des Januar 2006 auf der Skipiste von Parsenn-Gipfel zur Mittelstation. Es war Herr Bennewitz von der UKPV Berlin mit der erfreulichen Nachricht, dass eine offizielle Mandatserteilung zur Führung von ersten Sondierungen in Sachen veruntreutes DDR-Vermögen seitens der UKPV in Berlin für mich erfolgt sei. Auf Schweizer Seite hatte ich schon seit längerem die Spitze der Schweizerischen Nationalbank von den beginnenden deutsch-schweizerischen Gesprächen unterrichtet. Damit war der erste Schritt der Gesprächsanbahnung getan, aber schon fingen die erwarteten Schwierigkeiten an. Nur langsam konnten wir den deutsch-schweizerischen Gesprächskanal in Betrieb nehmen, die kleinste Indiskretion schon am Anfang hätte alle Bemühungen zunichte gemacht.
Auf der Berliner Seite war der Erwartungsdruck sehr hoch, das sagenumwobene Schweizer Bankgeheimnis knacken und aushebeln zu können um endlich mehr über noch unbekannte DDR-Guthaben in der Schweiz zu erfahren. Umgekehrt war für die Schweiz die Vorstellung verlockend, im Gegenzug ohne Beschränkungen vollen Zugriff auf den deutschen Banken- und Versicherungsmarkt zu bekommen. Aber allein die rechtlichen Hürden zur Umsetzung dieser Vorhaben waren sehr hoch: Das Bankgeheimnis war in der Schweiz durch die Verfassung geschützt, in Deutschland war der Wegfall der Beschränkungen für die Schweiz im Banken- und Versicherungsgeschäft mit der Bundesrepublik, wenn überhaupt, nur mit einer breiten politischen Basis möglich, die bisher nicht vorhanden war. Hinzu kam, dass für einen Teil der involvierten Schweizer Beamten das Antasten des Bankgeheimnisses, und dann noch durch die geliebte bundesdeutsche Konkurrenz, einem Sakrileg gleich kam.
Ein erster, wichtiger Grundsatzentscheid wird gefällt: Die Schweizerische Botschaft in Berlin teilt dem Auswärtigen Amt der Bundesrepublik am 12. Dezember 2007 mit, dass der Schweizer Bundesrat am 17. Oktober 2007 beschlossen hat, dem Gesuch der Bundesrepublik zu entsprechen und ihr beim Auffinden von vermissten und veruntreuten Vermögen staatlicher Institutionen und Parteien der DDR behilflich zu sein. Doch aller Anfang ist schwer: Die UKPV auf der komplizierten Jagd nach dem veruntreuten und vermissten Vermögen der DDR
Noch gegründet zu DDR-Zeiten von der im März 1990 erstmals frei gewählten Volkskammer der DDR, hatte die UKPV nicht nur viel Einfluss, sondern genoss auch die Unterstützung aller maßgebenden politischen Kräfte in der Bundesrepublik und zunächst auch in der DDR. Hierüber ist schon viel geschrieben worden, ich möchte mich daher auf die Ereignisse beschränken, an denen ich selbst beteiligt war und mitwirken konnte: als Beauftragter der UKPV sowie der Bundesanstalt für Vereinigungsbedingte Sonderaufgaben, der Nachfolgerin der Treuhandanstalt.
Mit dem am 31. Mai 1990 von der Volkskammer, dem Parlament der DDR, beschlossenen Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Parteien und andere politische Vereinigungen -Parteiengesetz- wurde das Vermögen der Parteien und der mit Ihnen verbundenen Organisationen, das am 7. Oktober 1989 bestanden hatte oder seither an die Stelle des Vermögens getreten war, unter treuhänderische Verwaltung gestellt.
Die treuhänderische Verwaltung wurde durch § 20b Abs. 3PartG DDR einer vom Ministerpräsidenten eingesetzten unabhängigen Kommission übertragen. Zugleich bestimmte § 20b Abs.1 PartG-DDR, dass mit dem Inkrafttreten die Parteien und die ihnen verbundenen Organisationen, juristische Personen und Massenorganisationen, Vermögensänderungen mit Zustimmung des Vorsitzenden der Unabhängigen Kommission vornehmen können. Den Parteien und politischen Organisationen wurde eine umfassende Rechenschaftspflicht für ihr Vermögen gegenüber der Unabhängigen Kommission auferlegt.
Stichtag für die Vermögensübersicht und die seitdem erfolgten Veränderungen ist der 7. Oktober 1989 (40. Jahrestag der Gründung der DDR). Der Unabhängigen Kommission wurde zur Durchführung ihrer Arbeit das Recht der Beweiseinvernahme, entsprechend den Verfahrensregeln der Strafprozessordnung, eingeräumt, Zeugen zu vernehmen, Hausdurchsuchungen, sonstige Durchsuchungen und Beschlagnahmungen vornehmen zu lassen. Die treuhänderische Verwaltung des Vermögens der Parteien et cetera wird der Treuhandanstalt (ab dem 1. Januar 1995 Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben-BvS) übertragen.
Mein Antrittsbesuch bei der UKPV im Spannungsfeld des Ost-West Konfliktes. Doch zunächst ein Rückblick:
Ich war 30 Jahre alt, als ich aus meiner Heimatstadt Wuppertal nach Berlin umzog, um dort bei der Deutschen Kredit- und Handelsbank AG, einer Tochtergesellschaft der Landesbank Rheinland-Pfalz, die auf das Geschäft mit der DDR und die Finanzierung des innerdeutschen Handels spezialisiert war, zu arbeiten. Der Innerdeutsche Handel (IDH) war in dieser Zeit das Hauptbindeglied der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den beiden deutschen Staaten. Von der DDR wurde er aus politischen Gründen deutsch-deutscher Handel genannt, um die staatliche Unabhängigkeit der DDR von der Bundesrepublik zu unterstreichen. Bis zur Wiedervereinigung war die Finanzierung dieses Handels die wesentliche Tätigkeit und Aufgabe der in Berlin ansässigen Tochtergesellschaften der bundesdeutschen Grossbanken und Sparkassen sowie der Berliner Lokalbanken. Nach der Wende blieb Berlin weiterhin auch einer der wirtschaftlichen deutschen Schwerpunkte im Bankgeschäft mit Osteuropa und der damaligen Sowjetunion, zumal wiedervereinigungsbedingt verschiedene Spezialinstitute aus dem deutschen Banken- und Versicherungsgeschäft in Berlin ihre Zentrale hatten, das galt auch für die UKPV. Und dieses Geschäft interessierte mich sehr.
Die UKPV hatte ihren Geschäftssitz in Berlin unweit des ehrwürdigen Hotels Kempinski in der Nähe des Kurfürstendamms in einem schönen, fast heimeligen Gebäudekomplex mit diversen Türmchen, die mich immer faszinierten. Ich wurde empfangen von den Herren Bennewitz und Fischer. Den Chef der UKPV, Herrn Milliker, lernte ich beim zweiten Besuch in Berlin kennen. Trotz oder gerade wegen unserer unterschiedlichen Rollen und Hintergründe verstanden wir uns auf Anhieb gut. Ich wurde ausführlich über die Aufgaben der UKPV informiert und, als man mein Interesse bemerkte, als Zaungast zu einer nächtlichen Hausdurchsuchung eingeladen. Während und nach dieser Hausdurchsuchung wuchs mein Respekt vor der UKPV: Wir hatten es hier nicht nur mit einer normalen Diensteinheit der Polizei zu tun, sondern mit einer bestens ausgebildeten und geschulten Eingreifeinheit und Reserve der Bundespolizei in Berlin. Bei den verschiedenen gemeinsam durchgeführten Einsätzen kam mehr und mehr das Gefühl einer Zusammengehörigkeit auf, Herr Milliker und seine Partner konnten auf diese Formation stolz sein.
Die Jagd nach vermutetem, unterschlagenen Vermögen der alten DDR-Hierarchie ist sicher eines der spannendsten Kapitel der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte. Akteure waren auf bundesdeutscher Seite die involvierten Dienste, im Wesentlichen der BND und der Verfassungsschutz. Auf Seiten der ehemaligen DDR waren es Funktionäre der alten DDR, zumeist mit dem MfS verwoben, die schon seit vielen Jahren das Netzwerk der DDR-Firmen in der Schweiz, Liechtenstein und auch in Luxemburg am Leben hielten. Sie waren weitgehend legalisiert, verfügten über die erforderlichen Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen der zuständigen Behörden und sorgten für das weitgehend unbeschwerte Geschäftsleben der DDR-Strukturen in diesen Ländern. Es gab zeitweise auch einen Modus Vivendi unter den Beteiligten von Ost und West, sich das Leben nicht unnötig gegenseitig zu erschweren.
Der Bereich KOKO von Alexander Schalck-Golodkowski und die UKPV Keine Liebe auf den ersten oder auch zweiten Blick für die wirtschaftliche Leistung eines prominenten Einzelgängers der DDR unter schwierigen Bedingungen
Bei der UKPV wurde lange diskutiert und zum Teil auch etwas gestritten, wie Alexander Schalck-Golodkowski in der DDR-Hierarchie einzuordnen ist. Zu unterschiedlich waren seine Vorgesetzten auf DDR-Seite, um auf Anhieb feststellen zu können: Wer hatte das Sagen? Wer trug neben Schalck die Verantwortung und wer war gegenüber ihm weisungsberechtigt? Welche Bedeutung Alexander Schalck in der Nomenklatura der DDR hatte, wurde jeweils bei seinen Auftritten anlässlich der Leipziger Messen sichtbar: Wenn er in Leipzig für wenige Minuten einen Empfang betrat, herrschte sofort ehrfürchtiges Schweigen und die Gespräche erstarben. Für die vielen Aussteller, vor allem auch für die in Leipzig anwesenden westlichen Banken, war es jeweils eine grosse Ehre, wenn er sich, wenn auch nur für wenige Minuten, blicken ließ. Obwohl Dr. Beil als Wirtschaftsminister formell über Schalck stand, hatte er auch nicht den Hauch einer Chance, gegen Schalck anzukommen. Das lag sowohl an der Angst vor Schalcks starker Einbindung in die Staatssicherheit wie auch die zumeist, privat wie geschäftlich, bestehende Abhängigkeit von Schalcks Devisen.
Klar und unumstritten dürfte nach wie vor Schalks Rolle als erster und wohl auch wichtigster Devisenbeschaffer der DDR sein. Erst mit dem Zusammenbruch des "Schalk-Imperiums" kurz vor dem Ende der DDR wurde klar, wie wichtig die Rolle seines Bereichs KOKO für die DDR war. Ob ohne ihn der Zusammenbruch der DDR früher oder auch später gekommen wäre, ist umstritten. Nicht bestritten ist, dass Schalck bei aller, vor allem nach aussen gezeigter Unabhängigkeit und der stolzen Devisenbilanz, die er über diverse Jahre vorzeigen konnte, ein fest in das System der DDR eingebauter Mann des MfS war. Er war der Devisenbeschaffer, aber die andere Seite, die Ausgaben der Devisen, war nicht an ihm zu entscheiden. Das machten der wichtigste SED-Wirtschaftsfunktionär Günter Mittag, Staats- und Parteichef Erich Honecker und das MfS, unter den wachsamen Augen Moskaus.
Keine Institution in der DDR war mehr umstritten als KOKO, aber auch keine hat mehr Devisen abgeliefert als KOKO. Natürlich hatte auch KOKO seine Verluste und Pleiten, aber dies hielt sich alles in Grenzen. Das lag vor allem daran, dass neben dubiosen Dingen, die KOKOmeistens vom MfS oder der Abteilung Verkehr des ZK der SED aufgebrummt bekam, KOKO über eine erstklassige, mit Top-Bonität ausgestattete Klientel verfügte, die es unmöglich machte, sich mit den MfS üblichen Kleinadressen aus dubiosen Ländern und Plätzen abzugeben. KOKO war nicht nur in Japan bei den dortigen Industriekonzernen ein gern gesehener, zuverlässiger und geschätzter Kunde: Er kaufte in grossen Mengen Erdöl- und Erdölprodukte für den Industriebereich der DDR ein, nebst den begleitenden Countertrade- und Absicherungsgeschäften und zahlte Cash. Und solche darauf basierende, gewinnträchtige Geschäfte wollte man sich durch unseriöse Schiebergeschäfte, die man vom MfS aufgedrückt bekam, nicht verderben lassen. Und je nach Marktlage war vor allem japanische Kundschaft scharf auf gute Geschäftsverbindungen zu KOKO. Selbst Moskau schaute mit Argwohn und auch Eifersucht auf dieses florierende Asiengeschäft.
Für Kenner der Materie war es keine Überraschung: Die Bestandsaufnahme bei KOKO nach der Wende, die durch die Gerstenberger Kommission durchgeführt wurde, erbrachte eine penible Buchhaltungsführung «auf den Pfennig», nach westlichem Standard erstellt und geprüft. Ohne diese Basis hätte KOKO bei seiner erstklassigen westlichen Kundschaft auch keine Chance gehabt.
Berlin und die halbjährlichen Leipziger Messen. Für die Finanzen der DDR höchstwichtig war das große Schmuggel- und Schiebergeschäft für veruntreutes und vermisstes Vermögen aller Art nach dem Krieg und bis zur Wende, welches vom MfS wohlwollend toleriert wurde. Es fand in Berlin ganzjährig rund um die Bahnhöfe Friedrichstraße und Zoologischer Garten statt, in Leipzig während der beiden Messen im Frühjahr und im Herbst auf dem Messegelände und in den diversen Messehäusern. Aber auch das ansonsten vom MfS verpönte Liebesleben zwischen Ost und West machte Ausnahmen, wenn der bundesdeutsche Messegast für die DDR eine hohe Wichtigkeit hatte.
Kein Land war nach dem Krieg so prädestiniert für den Schwarzmarkt und alle damit verbundenen Begriffe wie das geteilte Deutschland und seine ebenfalls geteilte Hauptstadt Berlin. Der Ost-West-Konflikt schuf hervorragende Voraussetzungen dafür: Switch, Barter
Auf dieses Geschäft waren die sozialistischen Länder spezialisiert: Sie litten seit ihrem Bestehen bis zur Wende unter dem Mangel an Devisen und ihre Aufgabe war es daher, auch aus minderwertigen Rohstoffen und Produkten Devisen zu machen. In der DDR gehörten Geschäfte dieser Art zur Spezialität von Dr. Schalck und seinem Bereich KOKO. Er konnte im Osten Waren billig einkaufen, durch Zwischenstationen auch über Ländergrenzen hinweg veredeln und marktfähig machen. Alsdann wurden diese vor allem im japanischen und asiatischen Markt verkauft und der Gegenwert wieder zum Einkauf verwendet.
In Leipzig konzentrierte sich dieses Geschäft auf die zweimal im Jahr stattfindenden Messen, die jeweils eine gute Woche dauerten. Diese traditionsreichen Messen waren zumindest damals die größten ihrer Art und waren für die meisten Bürger der DDR die einzige Gelegenheit, westliche Ware gegen Devisen oder im Tauschhandel zu erwerben. Dieser Handel fand einmal auf dem Messegelände statt, ein umfangreiches Areal außerhalb der Stadt sowie in diversen Messehäusern, wo sie branchenmäßig gegliedert waren. Daneben gab es den großen sowjetischen Pavillon, auf dem ein breit gestreutes Angebot von sowjetischen Produkten erhältlich war.
Die Geschäfte liefen unter den Augen der Staatssicherheit ab, die während der Messen auf dem Messegelände in einem großen Gebäudekomplex präsent war. Aber es wurde auch alles legerer gehandhabt, sonst hätte man sich diese Übung schenken können. Vor allem Pelz- und Lederwaren aus dem Osten waren im Angebot und wurden mit westlichen Waren getauscht, zum erheblich geringeren Anteil auch mit Devisen bezahlt. Für die breite Bevölkerung war das auch die Zeit, wo sie in ihrem Besitz befindliche Waren aller Art diskret in Devisen umtauschen konnte. KOKO war auf der Messe ebenfalls in prominenter Form präsent: Die "Intrac" belegte jeweils einen großen Teil der Halle 3, in welcher sie in einem Gebäudekomplex untergebracht war, der eine ganze Wand der Halle ausmachte.
Nach Geschäftsschluss ging das Treiben in der Innenstadt weiter und manch Abschluss entstand dann in einer Bar bei einem doppelten Wodka oder Nordhäuser Korn. Für die DDR war das Geschäft während der Messen einer der größten Devisenbringer, entsprechend war auch das MfS ungewohnt kulant und hielt sich mit allem zurück, was das Messegeschäft stören könnte. Die politische Spitze der DDR, angeführt von Erich Honecker und den Mitgliedern des Politbüros und teils des Zentralkomitees der SED waren in Leipzig während der Messen immer dafür präsent. Das zog auch die Politiker aus der Bundesrepublik an: die beste Voraussetzung, während der Messen neben den Geschäften auch in der Politik weiterzukommen.
Manche hochvertraulichen Gespräche zwischen Ost und West mit diskreten, auch zwischenmenschlichen Vereinbarungen und Deals wurden in L2009eipzig möglich, die normalerweise unvorstellbar waren. So verliebte sich in den Siebzigerjahren ein westdeutsches Vorstandsmitglied aus der Stahlbranche in eine hübsche, junge Leipzigerin, die aber für das MfS arbeitete und von diesem auch auf ihn als Lockvogel angesetzt worden war. Aber es war auf beiden Seiten große Liebe im Spiel. Der damals für die DDR hochwichtige bundesdeutsche Stahlvorstand setzte alles auf eine Karte und beichtete Honecker während eines Messegesprächs seine große Liebe für die Mitarbeiterin des MfS. Dieses Thema hatte sich bei den alten Messehasen aus Ost und West schon herumgesprochen und dürfte auch noch heute in deren Erinnerung sein. Dann kam die Sensation: Die Dame durfte in den Westen ausreisen, es wurde geheiratet und der westdeutsche Stahlvorstand blieb dem DDR-Geschäft erhalten.
Das geteilte Berlin war wie Leipzig auch auf diese Geschäfte spezialisiert, zumal es hierfür auch diverse «Standortvorteile» gab, die die geteilte Stadt zu Geld machen konnte. Was ist schon idealer für Rohstoff- und Devisenhändler, wenn man in einem Land mit zwei Währungen, D-Mark und Mark der DDR, einkaufen, verkaufen, zahlen und Handel treiben kann. Dies ist sicher das Hauptmotiv dafür, dass das geteilte Berlin zum Stützpunkt verschiedenster Firmen aus West und Ost wurde, die diesen Standortvorteil geschäftlich zu nutzen wussten nach dem Motto: Jedes Geschäft, nach wieviel Kurven auch immer, was letztlich einen Gewinn abwirft, ist ein gutes Geschäft.
So ließen sich in Ostberlin im modernen, von KOKO neu gebauten Internationalen Handelszentrum «IHZ» viele Banken und Unternehmen aus der Bundesrepublik und auch Asien nieder, umgekehrt waren in Westberlin die großen "sozialistischen Banken und Versicherungen" präsent, die den Standortvorteil ebenfalls zu nutzen wussten. Wenn man alles etwas positiver sehen möchte, kann man durchaus sagen: Die beiden Berlin haben per Saldo durch diese "Schwarzmarkt"-Geschäfte, heute würden man sagen "Devisenspekulationen» zwischen konvertierbarer und nicht konvertierbarer Währung, viel Geld verdient, wer immer letztlich die Rechnung zu bezahlen hatte. Und sicher haben diese geschäftlichen, gut "nachbarlichen Beziehungen» auch dazu beigetragen, dass der Kalte Krieg nicht zu heiß wurde.
Professionelles Vorgehen der UKPV gegen die vor allem in der Schweiz und in Liechtenstein sowie in Luxemburg etablierten Strukturen der DDR . Die UKPV konnte auf Staatsanwaltschaften und eigene Polizeikräfte zurückgreifen und hatte die volle Unterstützung der bundesdeutschen Nachrichtendienste und zum überwiegenden Teil auch der Politik
Nachdem die Hürden des Bankgeheimnisses weitgehend nicht mehr vorhanden waren, machte sich die UKPV daran, aus den unzähligen Dokumenten in ihren Archiven zunächst die auszusuchen, aus denen sich gegenüber den Schweizer Behörden ein nachvollziehbarer Bezug zu den Akteuren auf Seiten der DDR herleiten liess. Es wurden umfangreiche und bis ins einzelne gehende Angaben über Beträge und Geldflüsse der beteiligten DDR Firmen hergestellt.
Das Material für diese Recherchen lieferten weitestgehend die bundesdeutschen Dienste und ihre Behörden an die UKPV. Den Schweizer Kollegen konnten somit komplette Dossiers zur Verfügung gestellt werden, in denen sich die wichtigsten Angaben über die vorliegenden Verdachtsmomente in den einzelnen Fällen befanden: Da waren zunächst die Angaben über die Schweizer Banken, bei denen entsprechende Vermögenswerte festgestellt wurden (Konto- und Depotauszüge, Nachverfolgung des Überweisungsweges von den jeweiligen DDR Firmen bis hin zu den bundesdeutschen Banken, die in dem Zahlungsverkehr involviert waren). Wichtig waren dabei vor allem Angaben und Dokumente über die beteiligten Banken auf beiden Seiten, aus denen sich zweifelsfrei der Überweisungsweg, die Höhe und Währung der fraglichen Beträge und Begünstigten sowie die Original-Gutschriftsträger als notwendiges Beweismittel feststellen ließen.
Alsdann wurden Listen erstellt, in denen diese Ermittlungsergebnisse zusammengefasst waren. Diese Listen dienten auch als wesentliche Beweisunterlage in den von den bundesdeutschen Behörden angestrengten Zivil- und Strafprozessen gegen verdächtige Täter und Mitwisser. Diese Gerichtsverfahren, die von der UKPV eng begleitet wurden, verliefen für die Bundesrepublik übrigens äußerst erfolgreich und brachten Hunderte von Millionen Euro, wenn nicht sogar insgesamt einige Milliarden, in die bundesdeutsche Staatskasse, mehr dazu am Ende dieses Beitrags.
Während dieser Zeit konzentrierten sich die UKPV und die übrigen involvierten Behörden wie auch die Politik, unbeschadet von auch vorhandenen Meinungsverschiedenheiten, darauf, möglichst viele Prozesse und Verfahren abzuschließen, die der Bundesrepublik und damit auch dem Steuerzahler weiterhin namhafte Beträge sicherten.
Dieses zum Teil sorglose Leben der Akteure wurde schlagartig unterbunden, als der Bund seine alleinige Kompetenz und Zuständigkeit in deutsch-deutschen Fragen anmeldete und auch das Recht beanspruchte, für die ehemalige DDR sprechen zu können. Ein entscheidender Schritt in diese Richtung, ohne Zustimmung der zuständigen bundesdeutschen Behörden für mich undenkbar, war, dass der BND wie der Verfassungsschutz mit zum Teil offiziellen, dienstlichen Dokumenten ausgestattet wurden, die sie zum Aufenthalt wie auch zur Vornahme von Amtshandlungen, zum Beispiel in der Schweiz ermächtigten. Eine der wenigen Gesellschaften mit DDR-Hintergrund in der Schweiz, die auch über eine angemessene Infrastruktur verfügte, war die "Intrac" aus dem Bereich KOKO. Sie besaß Büroräume in Zürich, angemessenes und qualifiziertes Personal und eine entsprechende Infrastruktur.
Einer der Direktoren in Zürich war ein ausgewiesener Handelsexperte der "Intrac". Eines Tages schellte es und zwei Herren begehrten höflich um Einlass. Beide wiesen sich mit bundesdeutschen Reisepässen, auf Nachfragen auch mit Dienstausweisen des Verfassungsschutzes, aus und wollten einen Vertreter der Intrac sprechen. Die Sekretärin, das war damals meine Frau Yvette, offerierte den deutsch-deutschen Herren Kaffee und wunschgemäß einen Wodka, man taute schnell auf. Ein im deutsch-deutschen Drehbuch nicht vorgesehener Zwischenfall hatte sie in Zürich zusammengeführt, und eine seltsame, illustre Runde aus BND, Verfassungsschutz, KOKO und wohl auch MfS nutzte die Chance zu einem deutsch-deutschen Meinungsaustausch auf Schweizer Boden.
Das Schweizer Bankgeheimnis wird im Beisein der Kanzlerin in Bern zur nächtlichen Stunde im Verhältnis Deutschland-Schweiz beerdigt. Die Verhandlungen und Ermittlungen im Zeitraum 2008-2010
Die ersten Verhandlungsrunden zu diesem Thema waren bereits absolviert worden und die Stimmung war angesichts des bisher erzielten Verhandlungsfortschritts nicht ungünstig. Es klemmte noch bei dem Abwägen des Gebens und Nehmens, doch eine unüberwindbare Hürde war bisher nicht in Sicht. Die bundesdeutsche Seite war im Laufe der Verhandlungen schon einiges von ihrer ursprünglichen Position abgerückt und man wartete nun auf ein entsprechendes Entgegenkommen aus Bern. Die Verhandlungsführung lag in dieser Phase der Gespräche auf Schweizer Seite bei den Chefbeamten des EDA, auf deutscher Seite wurde, koordiniert von der UKPV, in enger Zusammenarbeit mit den Spitzen der deutschen Botschaft in Bern gearbeitet.
Langsam aber sicher ging es in den Endspurt, als eine Bombe platzte: Alle bisherigen Zusicherungen der Bundesrepublik seien in der bisherigen Form nicht ausreichend und bedürften eines direkten Eingreifens der Kanzlerin, um das zum Greifen nahe Ergebnis zur Unterschrift zu bringen. Nur sie könnte von der gesamten Runde hierfür akzeptiert werden. Sie müsse nur davon überzeugt werden, dass ihr persönliches Eingreifen erforderlich sei. Diese sicher nicht einfache Aufgabe übernahm der Bundesfinanzminister gemeinsam mit den Spitzen der UKPV.
Und so klingelte zur nächtlichen Stunde beim Diensthabenden im EDA das Telefon und avisierte ein persönliches Schreiben der Bundeskanzlerin an den amtierenden Schweizer Bundespräsidenten Hans-Rudolf Merz, in welchem zumindest im Verhältnis zu Deutschland das Bankgeheimnis zu Grabe getragen wurde. Die Medien überschlugen sich bei der Berichtserstattung über diesen bis vor kurzem noch nicht vorstellbaren Vorgang. Im Februar 2009 segnete der Bundesrat die Einigung zwischen den USA und der UBS ab. Die Schweizer Großbank lieferte daraufhin Informationen über 255 amerikanische Kunden. Gleichzeitig einigte sich die UBS mit dem amerikanischen Justizministerium und der US-Börsenaufsicht auf einen Vergleich.